Sebastian Koch, 41, Schauspieler, hat in über 40 deutschen und
internationalen Produktionen mitgewirkt. Im vergangenen Jahr bekam er für seine
Darstellung des Richard Oetker im »Tanz mit dem Teufel« und als Klaus Mann in
»Die Manns« den Grimme-Fernsehpreis, der noch nie zuvor zweimal an einen
Schauspieler vergeben worden war. Koch lebt getrennt von der Mutter seiner
siebenjährigen Tochter. Er träumt davon, dass Kinder nie von ihren Eltern
verlassen werden »Keiner darf mehr wiederholen, was früher gesagt wurde: Der Soundso hat seine
Familie verlassen. Kinder werden nicht verlassen. Der Lebenspartner wird
verlassen, nicht das Kind, und in meinem Traum darf sich kein Kind je von einem
seiner Eltern verlassen fühlen« Vor dem Traum kommt die Realität: Ich bin ein uneheliches Kind.
Meine Mutter war nicht verheiratet, und es war ihr auch ziemlich schnell klar,
dass sie mich alleine großziehen und mit meinem Vater nicht zusammenleben
wollte. 1962 war das noch eine Sensation, für so etwas wurde man geächtet.
Heutzutage sind alleinerziehende Eltern ja ganz normal – bei uns in der
Kindertagesstätte sind die Eltern von ungefähr 60 Prozent der Kinder getrennt.
Als ich mich von der Mutter meiner Tochter trennte, war das Kind drei. Wir haben
sehr hart daran gearbeitet, die Beziehung zu retten, schon wegen des Kindes,
aber nach zwei Jahren war klar, dass es nicht ging. Ich bin noch anderthalb
Jahre länger geblieben, um mit meiner Tochter eine Beziehung aufzubauen. Ich bin
erst gegangen, als ich das Gefühl hatte, dass die Beziehung zu meiner Tochter
stark genug war, um eine Trennung auszuhalten. Die Katastrophe dabei ist, man verlässt einander, weil man an dem anderen
vieles nicht mehr mag – und nun hat man aber ein Kind, das ja eine
Gemeinschaftsproduktion ist. Und dieses Kind hat ganz viel von dem anderen, den
man jetzt nicht mehr liebt und vielleicht nicht einmal mehr mag. Aber man muss
es lieben. Und da bekommt man ein Problem. Es war eine Riesenerfahrung für mich,
dass ich diese Frau nun weiter achten und respektieren musste, um meine Tochter
nicht kaputtzumachen, um nicht das zu machen, was bei vielen getrennten Paaren
passiert: das, was man vom nicht mehr geliebten anderen im Kind entdeckt,
korrigieren zu wollen. So viel zur Realität, vorab. Mein Traum ist, dass wir anfangen umzudenken, dass wir Erwachsenen uns von
vornherein mit dieser Kompliziertheit und der Gefahr, den anderen nicht mehr
lieben zu können, rechtzeitig auseinander setzen. Dass wir diese Gefahr nicht
verdrängen und dadurch lernen, damit fair umzugehen. Unsere Generation und die
kommende Elterngeneration muss sich damit auseinander setzen, weil ich glaube,
dass Alleinerziehen in Zukunft das vorherrschende Familienmodell sein wird. Wir
müssen von vornherein ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass der
Kleinfamilienplan schief gehen kann. Mein Traum ist, dass das schief gehen darf,
aber man eben lernt, den anderen auf irgendeine distanzierte Weise weiter zu
lieben, weil das die einzige Lösung ist, ein gemeinsames Kind vertrauensvoll
großzuziehen. Und jetzt muss ich meine Frustrationen, Ängste, meine
Verlassenheit oder sogar die Liebe, die ich vielleicht noch empfinde, für mich
klären. Der Horror ist doch: Die ganzen Konflikte, die sich die Erwachsenen
selber geschaffen haben, werden auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Immer
wird Schuld verteilt. Ganze Generationen von Kindern sind aufgewachsen mit dem
Satz: Dein Papa/deine Mama ist schuld daran, dass wir keine Familie mehr sind.
Das ist doch furchtbar. In der Realität wissen wir: Kinder von getrennten Paaren haben gewöhnlich
unglaubliche Defizite, was Vertrauen angeht, weil sie immer glauben, sie seien
verlassen worden. Wenn etwas falsch läuft, suchen Kinder instinktiv den Grund
dafür erst mal bei sich selbst. Mein Vater hat mich verlassen. Womit ich bis
heute kämpfe, weil das doch ein Unding ist. Mittlerweile erkenne ich durch meine
eigene Geschichte die Schwierigkeiten, die so eine Trennung mit einem Kind in
der Mitte mit sich bringt, dass man sich wirklich fragt: Wie soll ich denn das
lösen? Das Leichteste ist dann eben, zu sagen: Pass mal auf, mach du das mit dem
Kind, ich ziehe mich zurück. Mein Vater hat sich verweigert. Der hat sich aus der Verantwortung gezogen
und gesagt: Geht nicht, ist doch viel besser so. Die beiden passten überhaupt
nicht zusammen, ich kann das auch verstehen, aber trotzdem darfst du doch dein
Kind nicht verlassen! Egal, unter was für Umständen. Ich verstehe meinen Vater
und habe gleichzeitig begriffen, dass man das nie machen darf. Kinder brauchen
beide Eltern, weil sie ja aus beiden Teilen bestehen. Mein Traum ist, dass alle
Eltern, die sich trennen, dies wissen und sich danach verhalten. In dem Traum
bedeutet das Verlassen und Verlassenwerden nicht mehr das, was es bisher
bedeutet: Keiner darf mehr wiederholen, was früher gesagt wurde: Der Soundso hat
seine Familie verlassen. Kinder werden nicht verlassen. Der Lebenspartner wird
verlassen, nicht das Kind. Kein Kind darf sich je von einem seiner Eltern
verlassen fühlen. In meinem Traum übernehmen beide Elternteile diese
Verantwortung, auch wenn es manchmal fast über die eigenen Grenzen geht. Es ist legitim, die falschen Beziehungen einzugehen, das gehört dazu. Ich
kapiere meinen Vater gerade – ich halte es nicht für gut, was der gemacht hat,
aber ich kann es nachvollziehen. Ich werde den Teufel tun, es genauso zu machen.
Nie! Wir sind die nächste Generation, wir müssen eine Weiterentwicklung dieser
Dinge finden. Ich bin sicher, dass das geht. Zunächst ist es aber nur ein
Traum. Aufgezeichnet von KATHARINA VON DER LEYEN * Hören Sie die ZEIT! Diesen Artikel finden Sie als
Audiodatei unter http://hoeren.zeit.de Ich habe einen Traum