DIE ZEIT


30/2003

Sebastian Koch, 41, Schauspieler, hat in über 40 deutschen und internationalen Produktionen mitgewirkt. Im vergangenen Jahr bekam er für seine Darstellung des Richard Oetker im »Tanz mit dem Teufel« und als Klaus Mann in »Die Manns« den Grimme-Fernsehpreis, der noch nie zuvor zweimal an einen Schauspieler vergeben worden war. Koch lebt getrennt von der Mutter seiner siebenjährigen Tochter. Er träumt davon, dass Kinder nie von ihren Eltern verlassen werden

»Keiner darf mehr wiederholen, was früher gesagt wurde: Der Soundso hat seine Familie verlassen. Kinder werden nicht verlassen. Der Lebenspartner wird verlassen, nicht das Kind, und in meinem Traum darf sich kein Kind je von einem seiner Eltern verlassen fühlen«

Vor dem Traum kommt die Realität: Ich bin ein uneheliches Kind. Meine Mutter war nicht verheiratet, und es war ihr auch ziemlich schnell klar, dass sie mich alleine großziehen und mit meinem Vater nicht zusammenleben wollte. 1962 war das noch eine Sensation, für so etwas wurde man geächtet. Heutzutage sind alleinerziehende Eltern ja ganz normal – bei uns in der Kindertagesstätte sind die Eltern von ungefähr 60 Prozent der Kinder getrennt. Als ich mich von der Mutter meiner Tochter trennte, war das Kind drei. Wir haben sehr hart daran gearbeitet, die Beziehung zu retten, schon wegen des Kindes, aber nach zwei Jahren war klar, dass es nicht ging. Ich bin noch anderthalb Jahre länger geblieben, um mit meiner Tochter eine Beziehung aufzubauen. Ich bin erst gegangen, als ich das Gefühl hatte, dass die Beziehung zu meiner Tochter stark genug war, um eine Trennung auszuhalten.

Die Katastrophe dabei ist, man verlässt einander, weil man an dem anderen vieles nicht mehr mag – und nun hat man aber ein Kind, das ja eine Gemeinschaftsproduktion ist. Und dieses Kind hat ganz viel von dem anderen, den man jetzt nicht mehr liebt und vielleicht nicht einmal mehr mag. Aber man muss es lieben. Und da bekommt man ein Problem. Es war eine Riesenerfahrung für mich, dass ich diese Frau nun weiter achten und respektieren musste, um meine Tochter nicht kaputtzumachen, um nicht das zu machen, was bei vielen getrennten Paaren passiert: das, was man vom nicht mehr geliebten anderen im Kind entdeckt, korrigieren zu wollen. So viel zur Realität, vorab.

Mein Traum ist, dass wir anfangen umzudenken, dass wir Erwachsenen uns von vornherein mit dieser Kompliziertheit und der Gefahr, den anderen nicht mehr lieben zu können, rechtzeitig auseinander setzen. Dass wir diese Gefahr nicht verdrängen und dadurch lernen, damit fair umzugehen. Unsere Generation und die kommende Elterngeneration muss sich damit auseinander setzen, weil ich glaube, dass Alleinerziehen in Zukunft das vorherrschende Familienmodell sein wird. Wir müssen von vornherein ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass der Kleinfamilienplan schief gehen kann. Mein Traum ist, dass das schief gehen darf, aber man eben lernt, den anderen auf irgendeine distanzierte Weise weiter zu lieben, weil das die einzige Lösung ist, ein gemeinsames Kind vertrauensvoll großzuziehen. Und jetzt muss ich meine Frustrationen, Ängste, meine Verlassenheit oder sogar die Liebe, die ich vielleicht noch empfinde, für mich klären. Der Horror ist doch: Die ganzen Konflikte, die sich die Erwachsenen selber geschaffen haben, werden auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Immer wird Schuld verteilt. Ganze Generationen von Kindern sind aufgewachsen mit dem Satz: Dein Papa/deine Mama ist schuld daran, dass wir keine Familie mehr sind. Das ist doch furchtbar.

In der Realität wissen wir: Kinder von getrennten Paaren haben gewöhnlich unglaubliche Defizite, was Vertrauen angeht, weil sie immer glauben, sie seien verlassen worden. Wenn etwas falsch läuft, suchen Kinder instinktiv den Grund dafür erst mal bei sich selbst. Mein Vater hat mich verlassen. Womit ich bis heute kämpfe, weil das doch ein Unding ist. Mittlerweile erkenne ich durch meine eigene Geschichte die Schwierigkeiten, die so eine Trennung mit einem Kind in der Mitte mit sich bringt, dass man sich wirklich fragt: Wie soll ich denn das lösen? Das Leichteste ist dann eben, zu sagen: Pass mal auf, mach du das mit dem Kind, ich ziehe mich zurück.

Mein Vater hat sich verweigert. Der hat sich aus der Verantwortung gezogen und gesagt: Geht nicht, ist doch viel besser so. Die beiden passten überhaupt nicht zusammen, ich kann das auch verstehen, aber trotzdem darfst du doch dein Kind nicht verlassen! Egal, unter was für Umständen. Ich verstehe meinen Vater und habe gleichzeitig begriffen, dass man das nie machen darf. Kinder brauchen beide Eltern, weil sie ja aus beiden Teilen bestehen. Mein Traum ist, dass alle Eltern, die sich trennen, dies wissen und sich danach verhalten. In dem Traum bedeutet das Verlassen und Verlassenwerden nicht mehr das, was es bisher bedeutet: Keiner darf mehr wiederholen, was früher gesagt wurde: Der Soundso hat seine Familie verlassen. Kinder werden nicht verlassen. Der Lebenspartner wird verlassen, nicht das Kind. Kein Kind darf sich je von einem seiner Eltern verlassen fühlen. In meinem Traum übernehmen beide Elternteile diese Verantwortung, auch wenn es manchmal fast über die eigenen Grenzen geht.

Es ist legitim, die falschen Beziehungen einzugehen, das gehört dazu. Ich kapiere meinen Vater gerade – ich halte es nicht für gut, was der gemacht hat, aber ich kann es nachvollziehen. Ich werde den Teufel tun, es genauso zu machen. Nie! Wir sind die nächste Generation, wir müssen eine Weiterentwicklung dieser Dinge finden. Ich bin sicher, dass das geht. Zunächst ist es aber nur ein Traum.

Aufgezeichnet von KATHARINA VON DER LEYEN

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Ich habe einen Traum