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DRUCK-VERSION 26.09.03




Was nutzt dem Kindeswohl?



Die Scheidung einer Ehe kann auch gravierende Folgen für die Eltern der einstigen Partner haben. Was tun, wenn dem Enkel plötzlich der Besuch bei Oma verboten wird?

Anja und Felix waren fröhliche Kinder, bevor das Unheil über sie hereinbrach. Erst mussten sie die Trennung ihrer Eltern erleben, Monate später den Tod ihres Vaters. Danach verbot ihnen ihre Mutter, inzwischen mit einem neuen Partner liiert, jeden Kontakt zur Familie des Vaters: Großeltern, Tanten, Onkel, auch Cousins waren plötzlich tabu. Der Hof, auf dem alle Kinder früher gemeinsam gespielt haben, galt als feindliches Terrain. Felix (11) kann wie bisher Oma und Opa einmal im Monat für einen halben Tag treffen, Schwester Anja (13), die angeblich die Begegnungen mit den Verwandten des Vaters belasten und überfordern, soll nach Meinung des Oberlandesgerichts Bamberg solche Besuche erspart bleiben. Richter Klaus-Peter F. bestätigt das Urteil des Amtsgericht Würzburg und zitiert auf sechs Seiten Entscheidungen anderer Gerichte. Er interpretiert das, was er unter Kindeswohl versteht - und darf sich dabei in guter Gesellschaft wissen: Die Großeltern hätten nicht nachweisen können, dass ihre Kontakte zu den Enkeln dem Kindeswohl dienten.

Die Eheleute W. aus einem Dorf bei Würzburg werden nicht mehr vor Gericht kämpfen. Sie sind müde und erschöpft: „Wir schaffen das nicht mehr, und gegen die falschen Anschuldigungen kommen wir nicht an, weil uns nicht geglaubt wird.“ Das Oberlandesgericht Bamberg hatte ihnen den Weg zum Bundesgerichtshof versperrt, für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht fehlt ihnen die Kraft. Und noch einmal zum Amtsgericht, noch einmal alles sagen, was ihnen am Herzen liegt, das wollen sie nicht. Sie sind inzwischen 72 und 76 Jahre alt und fürchten, dass ihnen die Zeit davonläuft. Sie hoffen darauf, dass ihre geliebten Enkel „eines Tages auf uns zukommen und fragen“.

Was werden die Großeltern ihnen dann erzählen? Welche Kapitel aus einer endlos traurigen Geschichte? Das Drama begann, als im Juli 1999 die Mutter von Anja und Felix nach 13 Jahren Ehe ihren Mann verließ und die Kinder mitnahm - ins Haus gegenüber. Da war es aus mit dem Leben als Großfamilie auf dem Bauernhof. Dennoch: Die Kinder kamen herüber, wann immer sie ihren Vater, Oma und Opa oder auch die Vettern sehen wollten. Als ihr Vater an Krebs erkrankte, wurden die Beziehungen zu den Großeltern sogar noch intensiver.

Kurz vor dem Tod des Vaters im August 2000 unterzeichneten die Eltern eine Scheidungsvereinbarung. Alles schien geregelt. Aber nach der Eröffnung des Testaments, mit dem die Witwe nicht gerechnet hatte, brach für diese offenbar eine Welt zusammen - und ein Krieg zwischen ihr und den Schwiegereltern entbrannte. Der Mann hatte zwar seine Kinder als Alleinerben eingesetzt, aber nicht deren Mutter. Eine seiner Schwestern hatte er zur Testamentsvollstreckerin bestimmt. Seither versucht die Witwe, die Kontakte zwischen Kindern und Großeltern wie auch Tanten und Onkel zu torpedieren und der Testamentsvollstreckerin Pflichtverstöße anzuhängen. Anna W. klagt: „Anscheinend genügt es, dass ein Elternteil kategorisch die Großeltern ablehnt, auf dass sie für immer auf Nimmerwiedersehen aus dem Gesichtskreis der Kinder verschwinden.“

Die Großmutter versteht die Welt nicht mehr, seit ihr gerichtlich untersagt wurde, die Enkeltochter Anja auf der Straße im Dorf auch nur zu begrüßen. Und Felix darf sie einmal im Monat sehen, wenn überhaupt. Sie hat sich daran gewöhnen müssen, dass Termine nicht eingehalten werden und die extra aus Köln angereiste Tante den geliebten Neffen nicht sehen kann.

Anna W. hat erlebt, wie ihre Enkel in Loyalitätskonflikte gestürzt wurden. „Beim Termin am Familiengericht waren sie eingeschüchtert. Sie hatten Angst vor ihrer eigenen Mutter und fürchteten, uns wehzutun, “ berichtet die Großmutter, die sich mit Wehmut an die gemeinsame Zeit mit den Enkeln erinnert: „Die Entfremdung hat schon begonnen, und sie wird sich verschärfen.“

Wie alle ausgemusterten Angehörigen kennt Anna W. auch jede Menge anderer Fälle. Geschichten der Verzweiflung, der Resignation: Nur wenige enden glücklich.

Den Glauben an den Rechtsstaat hat Frau W. verloren.





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